Ganzheitliches Bildungsverständnis und viel Innovationskraft in einer Schule der Zukunft
Jurymitglied Nicole Schäfer berichtet im Interview, was sie an der Maria-Leo-Grundschule begeistert hat, warum diese junge Schule Hauptpreisträger des Deutschen Schulpreises 2025 ist und was andere Schulen – auch mit anderen Ausgangsvoraussetzungen – von ihr lernen können.
Was macht den Unterricht an dieser Schule besonders?
Zu Beginn möchte ich betonen, wie sehr mich diese Schule geflasht hat – und das nach 25 Jahren als Schulleiterin, unzähligen Hospitationen und vier Jahren Juryarbeit. Noch nie hat mich eine Schule und ihr Konzept so beeindruckt. Wenn ich von ihr erzähle, klingt es fast, als wäre es meine eigene, so sehr begeistert sie mich. Bemerkenswert ist, dass hier nichts dem Zufall überlassen wird. Das Team hat die Chance des neuen Gebäudes genutzt, um jedes Detail zu durchdenken: Wie lassen sich Räume, pädagogischer Auftrag und Lernfreude so verbinden, dass alle gerne kommen und bestmöglich lernen? Von Beginn an hat sich das Kollegium intensiv mit Unterrichtsqualität beschäftigt, und die Kriterien konstruktive Unterstützung, kognitive Aktivierung und Classroom Management sind hier nicht nur Schlagworte, sondern gelebte Praxis – spürbar in jedem Raum und in jeder Lernsituation.
Können Sie für diese drei Kriterien konkrete Beispiele nennen?
Zur konstruktiven Unterstützung: Die Schule setzt auf gute Beziehungen. Eine feste Gruppe von Pädagog:innen betreut eine Lerngruppe über drei Jahre hinweg. Sie kennen die Kinder und ihre Lernstände genau, setzen gezielt Diagnoseverfahren ein und arbeiten im multiprofessionellen Team. So kann jedes Kind passgenau gefordert werden. Zur kognitiven Aktivierung: Überall in der Schule finden sich herausfordernde Lernsettings – von Einzel- bis Gruppenarbeit, von Projekten wie beispielsweise „nachhaltige Kleidung“ mit eigener Modenschau bis hin zu Input-Phasen, in denen Fragen wie „Wozu könnte Bruchrechnung gut sein?“ zum Denken anregen. Zum Classroom Management: Im „Lernhausprinzip“ sorgen klare Strukturen, feste Abläufe, eingeübte Routinen und verbindliche Regeln für ein störungsfreies, hoch motiviertes Lernen. Jedes Kind weiß zu jeder Zeit, was, wann, wo und warum es etwas tut.
Welche Konzepte haben Sie besonders überzeugt?
Neben dem besonderen Unterrichtskonzept haben mich drei weitere Ansätze besonders beeindruckt. Erstens das Level-up-Konzept, ein Graduierungssystem mit den Stufen Explorer, Explainer und Expert, das schon bei den Jüngsten ansetzt und Selbstverantwortung, Eigenständigkeit und intrinsische Motivation fordert – stets mit der Haltung „Be strong– du schaffst das“. Zweitens der flexible Stundenplan, der neben dem gemeinsamen Unterricht individuelle Angebote ermöglicht, etwa Lernwegstunden, Logopädie, Ergotherapie, DaZ-Forderung oder lebenspraktischen Unterricht. Drittens die besondere Vielfalt an Förder- und Kreativangeboten: Ich habe Kinder beim Weben, handwerklichen Arbeiten und Musizieren erlebt. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang die Kooperation mit der Daniel Barenboim Stiftung, die eine Festeinstellung von Musikpädagog:innen an der Schule ermöglicht, die ganztägig im Team mitarbeiten. So können Kinder während des regulären Schultages Instrumentalunterricht erhalten, und die Proben sind in ihren Stundenplan integriert. Musik spielt an dieser Schule eine besondere Rolle – beispielsweise erlebte ich während des Besuchs einen Morgenkreis, bei dem eine Klavierlehrerin am Flügel spielte, während die Kinder dazu sangen. Das war ein echter Gänsehautmoment und ein Beispiel dafür, wie Musik und flexible Strukturen das Schulleben bereichern.
Was kann man sich genau unter dem Raumkonzept „Compartments“ vorstellen? Wie sieht diese Schule aus?
Die Schule ist als sogenannte Compartmentschule nach pädagogischen Gesichtspunkten geplant. Horizontal gibt es drei Häuser – im ersten Stock das Bauhaus, im zweiten die Museumsinsel und im dritten die Kunstvilla. Vertikal gliedern sie sich in Mikrohäuser (Klassen 1 bis 3) und Makrohäuser (Klassen 4 bis 6), in denen jahrgangsubergreifend gelernt wird. Jedes Lernhaus verfügt über drei Stammgruppenraume. Das Herzstuck eines jeden Lernhauses ist das Forum. Hier befindet sich ein integriertes Lese-Aquarium, das von allen Lerngruppen des jeweiligen Lernhauses genutzt wird. Die Kinder bleiben drei Jahre im Mikrohaus und anschließend drei Jahre im Makrohaus, der Übergang wird bewusst begleitet.
Der Deutsche Schulpreis möchte gute Schulpraxis sichtbar machen, damit andere Schulen davon lernen. Die Maria-Leo-Grundschule ist eine Schule mit modernem Neubau und noch jungem Bestehen. Viele Schulen arbeiten seit Jahrzehnten unter ganz anderen Bedingungen. Was können diese Schulen von der Grundschule lernen?
Wer diese Schule besucht, könnte tatsachlich zunächst denken: „So können wir nie werden.“ Doch beim genaueren Hinsehen zeigt sich, dass die Ideen und Konzepte nicht an den Neubau gebunden sind, sondern sich auch auf andere Schulen übertragen lassen. Die hohe Innovationsfreude und die Bereitschaft, sich mit den Kriterien für guten Unterricht auseinanderzusetzen, sind im gesamten Team der Maria-Leo-Grundschule spürbar. Ja, diese Schule macht Lust auf Unterrichtsentwicklung, denn sie zeigt überzeugend, was alles möglich ist. Und am Ende profitieren alle – und vor allem die Kinder!
Zum Jurymitglied: Nicole Schäfer ist Schulleiterin der Franz-Leuninger-Schule in Mengerskirchen.