Jahrgangsübergreifendes Lernen, starke Beziehungen und echte Gemeinschaft
Jurymitglied Dr. Michaele Geweke erklärt, warum die Jenaplanschule Weimar ein Vorbild für alle Gemeinschaftsschulen ist und was alle Schulen von ihr lernen können.
Die Jury lobt das komplexe Gefüge aus horizontalen und vertikalen Strukturen mit klassenübergreifendem und jahrgangshomogenem Unterricht. Was bedeutet das?
Horizontal heißt hier: In den Stammgruppen lernen jeweils drei Jahrgänge gemeinsam. Vertikal bedeutet: Drei dieser Stammgruppen werden zu einer größeren Einheit zusammengefasst, in der projektorientiert gearbeitet wird, teilweise über neun Altersstufen hinweg. Gleichzeitig gibt es Fächer wie Fremdsprachen, die jahrgangshomogen unterrichtet werden, um eine klare Lernprogression zu sichern. Dieses Gefüge sorgt dafür, dass die Lehrkräfte jedes Kind mit seinen Stärken, Entwicklungsfeldern und Lernfortschritten sehr genau kennen. Auch die Schüler:innen profitieren. Sie haben viele Kontakte, schließen Freundschaften über Jahrgänge hinweg und erleben Gemeinschaft als gelebtes Prinzip. Die Schule setzt das Konzept Gemeinschaftsschule nicht nur um, sie lebt es.
Wie trägt dieses Gefüge zum Lernerfolg der Schüler:innen bei?
Es verbindet gemeinschaftliches und individuelles Lernen. Ältere unterstützen Jüngere, Jüngere lernen, um Hilfe zu bitten. Gleichzeitig arbeitet jede:r Schüler:in anhand von Logbüchern an individuellen Kernprojekten, besonders in den Hauptfächern. Diese individuelle Arbeit ist eng verzahnt mit projektorientierten Formaten in der Gemeinschaft. So werden fachliche und soziale Kompetenzen gleichermaßen gestärkt.
Die Jury hat außerdem beeindruckt, wie verantwortungsvoll und routiniert die Schüler:innen mit Freiräumen umgehen. Wie wirken sich diese Freiräume auf die Unterrichtsqualität der Schule aus?
Eine Schülerin beschrieb es so: „Man kann selbst entscheiden, was man macht – es muss am Tag aber fertig werden.“ Mit diesem Ziel vor Augen organisieren die Kinder ihre Zeit eigenständig, werden dabei jedoch von Lehrkräften im Hintergrund unterstützt. Team Teaching ermöglicht individuelle Begleitung.
Was sind die wichtigsten Gründe, warum die Jenaplanschule Weimar den Deutschen Schulpreis verdient?
Zentral ist die intensive, qualitätsvolle Beziehungskultur, die das Lernen fördert, und der starke Zusammenhalt, der besonders durch das jahrgangsübergreifende Lernen entsteht. Auf Basis einer hochprofessionellen und systematischen Diagnostik werden die individuellen Voraussetzungen der Schüler:innen erfasst. Dadurch wird jedes Kind dort abgeholt, wo es aktuell steht. Der Unterricht wird konsequent binnendifferenzierend gestaltet. Dazu kommt eine hohe Verantwortungsbereitschaft und echtes solidarisches Lernen. Die Identifikation mit der Schule ist enorm – bei Eltern, außerschulischen Partnern wie dem Deutschen Nationaltheater oder dem Netzwerk Schule ohne Rassismus und natürlich bei den Schüler:innen selbst. Beeindruckend ist auch die Freude daran, einen inklusiven Lernort zu gestalten, an dem jedes Kind nach seinen Bedürfnissen gefördert wird. Insgesamt zeigt die Schule eindrucksvoll, wie Gemeinschaftsschule gelingen kann – und das bei sehr guten Ergebnissen.
Wer kann von dieser Schule lernen?
Die Beziehungskultur ist etwas, wovon jede Schule profitieren kann. Auch die Mischung aus basisnahen und gleichzeitig sehr strukturierten Schulentwicklungsprozessen kann als Vorbild dienen. Ich möchte außerdem ein Plädoyer dafür halten, jahrgangsübergreifenden Unterricht stärker zu erproben – selbst in der Oberstufe, wo die Jenaplanschule Weimar zum Beispiel mit altersgemischten Kursen zeigt, dass er möglich ist.
Zum Jurymitglied: Dr. Michaele Geweke ist stellvertretende Kollegleiterin und pädagogische Leiterin des Oberstufen-Kollegs Bielefeld.