Kompetenzorientierung, professionelle Kooperation und eine Schule für alle
Jurymitglied Dr. Jan von der Gathen erklärt, warum die Schule An der Burgweide mit dem Deutschen Schulpreis 2025 ausgezeichnet wird.
Welcher Moment während des Schulbesuches hat Sie besonders berührt?
Ein Kind mit Downsyndrom hielt im Sitzkreis einen Vortrag über TikTok. Als die Klasse applaudierte, leuchtete das ganze Gesicht. Für alle ist es selbstverständlich, Teil einer Schulgemeinschaft zu sein, in der jedes Kind dazugehört. Für mich ist die Grundschule An der Burgweide eine Schule, die die Gesellschaft abbildet und zugleich mitgestaltet. Vielfalt ist hier eine klare Entscheidung. Die Kinder lernen hier sechs statt vier Jahre, wie es in Hamburger Grundschulen üblich ist. Außerdem können hier alle Förderschwerpunkte beschult werden.
Welche Stärken sehen Sie im Bereich Unterrichtsqualität?
Wer Unterricht verändern will, muss mehr als nur den Unterricht selbst weiterentwickeln. Diese Schule hat eine klare und professionelle „Innenarchitektur“ für die Unterrichtsentwicklung aufgebaut. Unterschiedliche Gremien und Teams arbeiten in klaren Rollen zusammen. Klassenleitungen arbeiten im Tandem, oft räumlich nebeneinander, was den Austausch erleichtert. Jedes Treffen wird als Fortbildung genutzt. Lehrkräfte bringen ihre unterschiedlichen Stärken ein und entwickeln gemeinsam Unterricht. So entsteht Qualität, die mehr ist als die Summe der Teile.
Was zeichnet die Unterrichtsgestaltung aus?
Die Schule setzt auf Binnendifferenzierung als Standard: Alle Kinder werden individuell gefördert. Außendifferenzierung gibt es nur, wenn sie sinnvoll ist, etwa bei lebenspraktischen Themen für Kinder mit besonderen Bedarfen. Diese Gruppen sind offen, auch andere Kinder können teilnehmen. Gleichzeitig werden besondere Talente gezielt unterstützt, etwa in Fotografie- oder Technik-AGs. Ein fest verankerter Bestandteil des Unterrichtsplans ist zudem „Lernen durch Engagement“: Lerngruppen wählen eigene Projekte wie die Renovierung eines Raumes oder die Begleitung von älteren Menschen im benachbarten Seniorenheim und arbeiten daran gemeinsam, unabhängig von Lerntempo oder Förderbedarf. Hinzu kommt Alltagslernen – vom Selbstwahlbüfett in der Mensa bis zum Kinderkiosk, in dem die Kinder Früchtespieße zubereiten und verkaufen. So entstehen Entscheidungskompetenz, Selbstständigkeit und praktische Fähigkeiten. Insgesamt bleibt Unterricht hier nicht auf Arbeitsblätter beschränkt, sondern trägt dazu bei, Gesellschaft zu bilden – mit fachlichen und sozial-emotionalen Basiskompetenzen.
Warum hat diese Schule einen Preis verdient?
Erstens: Die Schule sortiert nicht – weder nach Jahrgängen noch nach Förderbedarf. Es wird jahrgangsübergreifend gelernt, sodass die ganze Breite an Kompetenzen sicht- und nutzbar wird. Zweitens: Sie arbeitet sehr konsequent kompetenzorientiert. Der Unterricht beginnt immer mit den angestrebten Kompetenzen, nicht mit schönem Material oder Projekten. Daraus entwickeln die Lehrkräfte kluge, entdeckende Aufgaben, die materialgestützt, aber nicht materialgetrieben sind. Drittens: Die Kinder dokumentieren ihren Lernfortschritt auf individuellen Lernlandkarten. Das stärkt ihre Selbstwirksamkeit und macht Entwicklung sichtbar. Viertens: Es gibt hochwertige, aufeinander aufbauende Materialien im Spiralprinzip und ein strukturiertes Classroom Management, das die „Zone der nächsten Entwicklung“ gezielt fördert. Und fünftens: Die Übergangsgestaltung ist vorbildlich. Kinder werden schon in der “Vorschule” an das Lernen und die Schule herangeführt, fachlich und sozial. Unterm Strich heißt das: Hier wird individuell gelernt, aber nicht allein. Das Kollegium arbeitet auf Basis eines gemeinsamen Verständnisses von gutem Unterricht – kompetenzorientiert, verantwortungsfördernd und differenzierend.
Zum Jurymitglied: Dr. Jan von der Gathen ist Schulrat in der Schulaufsicht für die Grundschulen in Essen, ehemaliger Lehrer an der Grundschule Kleine Kielstraße in Dortmund (Hauptpreisträger Deutscher Schulpreis 2006) sowie ehemaliger Schulleiter der Franz-Vaahsen-Grundschule in Düsseldorf.