Design Thinking, Kollaboration und Feedbackkultur an der Beruflichen Schule ITECH

 

Die berufliche Schule in Hamburg hat in den vergangenen Jahren ihren Unterricht systematisch weiterentwickelt, um ihre Schüler:innen zu befähigen, ihr Lernen selbst in die Hand zu nehmen. Jurymitglied Christian Mellwig hat sich während des Schulbesuches angeschaut, wie die ITECH ihre Konzepte in der Praxis umsetzt und wo sich die Stärken des Unterrichts besonders deutlich zeigen.

Die Berufliche Schule ITECH liegt im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg auf der größten Binneninsel Europas. Dieser Stadtteil ist geprägt durch einen sehr hohen Anteil an Bewohner:innen mit Migrationshintergrund. Die Bildungsangebote der Schule sind so vielfältig wie das Quartier selbst: Hier lernen rund 2.300 Schüler:innen in 20 verschiedenen Bildungsgängen. Die weitaus größte Abteilung ist mit 1.700 Lernenden die duale Ausbildung zum:zur Fachinformatiker:in.

Unterricht neu denken

„Verantwortung wächst auf Vertrauen“ lautet das Motto der Schule, das als wiederkehrendes Motiv die Lehr- und Lernprozesse prägt. In einem mehrjährigen Entwicklungsprozess hat die ITECH das Lernen und Lehren grundlegend verändert: weg vom klassischen Fachunterricht mit geringen Freiheitsgraden hin zum individualisierten Lernen. Das zentrale pädagogische Element ist dabei das „SkiL“-Konzept (selbstverantwortetes, kompetenzorientiertes, individualisiertes Lernen). So können die Schüler:innen selbst entscheiden, in welchem Tempo sie lernen, wie sie sich ihre Zeit einteilen, welche Methoden und Techniken sie auswählen oder an welchem Lernort und in welchem Team sie arbeiten. Das Konzept schließt auch ein, dass fachliche Inputs durch die Lehrenden lediglich ein offenes Angebot und für alle Lernenden optional sind. Ziel ist es, die Schüler:innen bestmöglich auf eine spätere Tätigkeit mit sich dynamisch verändernden Technologien vorzubereiten. Entsprechend zukunftsorientiert sind die Lernsettings. Die Schüler:innen arbeiten beispielsweise mit Methoden des Design Thinkings oder der Scrum-Methode, die unter anderem auf agilen Prinzipien und einem klar definierten Arbeitsprozess beruht.

Ihr pädagogisches Lernkonzept verknüpft die berufliche Schule geschickt und sinnvoll mit ihrem Digitalisierungskonzept „DigITECH“. Die gut entwickelte IT-Infrastruktur ermöglicht digitale Kollaborationen und virtuelle Lernräume, die das Raumangebot über den Klassenraum hinaus auf das Schulgelände bis zum Wohnort der Schüler:innen erweitern. Die Lernenden können partielles und zeitbegrenztes Homeoffice beantragen und dank der von der Schule bereitgestellten Strukturen problemlos von zu Hause arbeiten.

Professionelles Qualitätsmanagement

Außergewöhnlich für eine berufliche Schule ist, dass die ITECH speziell für pädagogische Themen Funktionsstellen schafft. Zur erweiterten Schulleitung gehört unter anderem eine Lehrkraft, die für Schulentwicklung und institutionelle Kooperationen zuständig ist. Eine weitere Lehrkraft betreut die IT-Infrastruktur. Die Schule verfügt über ein umfassendes Qualitätsmanagement, das eine systematische und agile Schulentwicklung ermöglicht. So formuliert die erweiterte Schulleitung auf Grundlage des Leitbildes eine klare Vision für das Lernen und verknüpft diese mit konkreten Anforderungen an die Unterrichtsentwicklung. Die Umsetzung dieser Anforderungen gelingt dank des Teamkonzeptes der Schule. Die Abteilungsteams entwickeln während festgelegter Teamzeiten gemeinsam Materialien für die Lernfelder und lassen sich dabei von anderen Abteilungen inspirieren.

Das Fortbildungskonzept der Schule stellt sicher, dass alle Lehrkräfte gezielt Kompetenzen und Wissen erwerben, die sie für die Umsetzung der gemeinsamen Vision für das Lernen benötigen – beispielsweise im Hinblick auf Methoden des Design Thinkings. Ein Großteil der Lehrkräfte wird so zu Lernbegleiter:innen fortgebildet, neue Kolleg:innen werden im Rahmen des Onboarding-Prozesses durch Mentoring unterstützt und durch interne Fortbildungen vorbereitet.

Positive Feedbackkultur und Kompetenzorientierung

Die Bereitschaft der Schule, sich offen und mutig dem Wandel zu stellen und sich auf Neues einzulassen, zeigt sich auch in ihrem Umgang mit den Lernergebnissen der Schüler:innen. Eine formative Bewertung und eine positive Feedbackkultur stehen bei der ITECH im Mittelpunkt. Reflexion und Feedback finden regelmäßig im Dialog mit den Lernbegleiter:innen sowie mit Mitschüler:innen im Rahmen von Peer-Reviews statt. Die Kompetenzorientierung steht dabei zwangsläufig im Widerspruch mit der Notengebung nach altem Muster. Mit diesem Widerspruch geht die ITECH kreativ um und verbindet Leistungsbewertung mit Kompetenzorientierung. Dementsprechend sind Klassenarbeiten nicht die Regel. Schüler:innen können ihre Lernergebnisse beispielsweise auch präsentieren oder schriftlich dokumentieren.

Im Gespräch mit der Jury betonen die Lernenden, dass sie in ihren bisherigen Bildungsbiografien noch keine Schule wie die ITECH besucht haben, die ihnen eine solch ausgeprägte Verantwortung für den eigenen Lernerfolg überträgt. Sie identifizieren sich stark mit ihrer Schule und fühlen sich von den Lehrkräften gut unterstützt. Die Begegnung erfolgt auf Augenhöhe: Schwierigkeiten führen nicht zu einem Abwerten – vielmehr vermitteln die Lehrkräfte, dass es ihre Aufgabe ist, die Lernenden mit ihren Besonderheiten zu begleiten.

Zur Person

Dr. Christian Mellwig leitet die Albert-Schweitzer-Schule im baden-württembergischen Sinsheim.