Interview mit Anke Junge-Ehmke, Leiterin der Deutschen Schule in Rio de Janeiro

Aber ja! Die Möglichkeit, eine Begegnungsschule zu besuchen, zwei Schulabschlüsse zu machen und durchgängig in deutscher und portugiesischer Sprache unterrichtet zu werden, ist einmalig. Ich bin überzeugt, dass diese Erfahrung die Lebenswege unserer Schüler nachhaltig prägt. Meine jüngste Tochter, auch Schülerin dieser Schule, stöhnt zwar manchmal unter der Last der vielen Unterrichtsstunden, doch die Deutsche Schule Rio de Janeiro ist etwas ganz Besonderes - dessen sind sich alle Mitglieder unserer Schulgemeinschaft bewusst.

Das Schulgebäude ist die ehemalige Residenz des amerikanischen Botschafters. Es stammt aus der Zeit, als Rio Hauptstadt war, ein historischer, denkmalgeschützter Bau. Unser Campus erinnert an einen botanischen Garten. Doch wesentlich reizvoller finde ich die Zusammenarbeit der rund 100 brasilianischen und 20 deutschen Lehrkräfte sowie die Herausforderung, eine Begegnungsschule zu leiten.

Größtenteils aus der gehobenen Mittelschicht. Die Schulgebühr beträgt rund tausend Euro monatlich. Doch es gibt auch Sozialstipendien.

Die Schülerinnen und Schüler des deutschen Zweiges haben je zur Hälfte Unterricht in deutscher und portugiesischer Sprache. Sie machen neben dem brasilianischen Abschluss auch das deutsche Abitur. Insofern müssen wir Vorgaben beider Seiten vereinen und umsetzen.

Maßgeblich ist, dass die Schulleitung kooperativ zusammenarbeitet. Mit dem brasilianischen Schulleiter treffe ich alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam und vertrete sie auch so nach außen. Die meisten Schülerinnen und Schüler besuchten schon unseren Kindergarten. Dieses Sprachbad von klein auf ist ein großer Vorteil. Doch einige unserer besten Abiturienten sind Späteinsteiger, die erst in der achten Klasse in den deutschen Zweig gewechselt sind. Obgleich viele brasilianische Eltern keinen Bezug zur deutschen Kultur haben, ist die Bereitschaft, Deutsch zu lernen, unendlich groß.

Deutschland hat hier ein positives Image, es steht für Verlässlichkeit und Qualität.

Natürlich stolpern wir im Alltag über typisch deutsche und brasilianische Verhaltensweisen, beim Zeitmanagement beispielsweise. In Deutschland sind wir getrimmt auf schnelles, zielorientiertes Arbeiten. Brasilianische Kollegen dagegen sind kommunikativer, nehmen sich viel Zeit, um Dinge zu besprechen, der Prozess steht häufig im Vordergrund. Und sie setzen sich sehr für ihre Schülerinnen und Schüler ein, ihre Beziehung ist freundschaftlicher. Gerade wegen dieser Unterschiede können beide Seiten voneinander profitieren - unsere Schule ist ein gelungenes Beispiel dafür.

Wichtig ist es, Gemeinsamkeiten zu finden, aber auch Unterschiede zu lassen - und nicht permanent zu problematisieren. Beispielsweise erarbeiten brasilianische und deutsche Lehrer Methoden für den Unterricht gemeinsam. Mit der Kompetenzorientierung deutscher Bildungspläne tun sich einheimische Lehrer manchmal schwer, sie sind es gewohnt, Fakten und Wissen abzufragen. Wir bringen beide Lehrpläne zusammen, und genau dieses Zusammenspiel funktioniert, wie unsere Abschlussergebnisse immer wieder zeigen.

In nationalen Schulrankings schneiden wir gut ab, darauf legen brasilianische Eltern viel Wert. Sie erwarten vor allem eine gute Vorbereitung auf den Landesabschluss. Doch auch das deutsche Abitur ist ein Erfolgsmodell, weil junge Menschen damit eben nicht nur in Deutschland studieren können, sondern auch zum Studium in die USA oder nach China gehen können.

Grundsätzlich: Wir erklären und kommunizieren sehr viel. An deutschen Schulen werden Entscheidungen getroffen, erst dann folgt der Elternbrief. Das wäre hier ein Fehler: Wir binden alle ein. Wenn ein Kind Lernschwierigkeiten hat, haben wir Erziehungsberater, die Lehrkräfte und Eltern unterstützen. Sie laden die Eltern aktiv ein, suchen das Gespräch und zeigen mögliche Lösungswege auf. Das mag bei einem Schüler Förderunterricht sein oder weniger außerschulische Aktivitäten, bei dem nächsten der Besuch unseres »Lernstudios«, das individuelle und zeitlich begrenzte Hilfe anbietet.

Mittlerweile sind auch in Deutschland viele Schulen zu Begegnungsorten für Kinder unterschiedlichster Herkunftsländer geworden. Doch oft, so mein Eindruck, werden die unterschiedlichen Muttersprachen und Kulturen nicht als Bereicherung, sondern als Belastung wahrgenommen. Von uns lernen kann man, wie man mit sprachlichen und kulturellen Unterschieden konstruktiv umgeht. Bei uns läuft alles zweisprachig, jede Konferenz, jeder Elternabend, jede Präsentation sowie der gesamte Unterricht werden auf Deutsch und Portugiesisch gehalten. Auch sind wir wesentlich durchlässiger, als es innerdeutsche Schulen sind. Wenn wir feststellen, dass eine brasilianische Achtklässlerin gute Chancen für die Aufnahme in den deutschen Zweig hat, kann sie auch später wechseln. Innerdeutsche Schulen täten sicher sehr gut daran, nicht zu frühzeitig den Bildungsweg samt Abschluss des Einzelnen festzulegen.

Ich glaube nicht, dass sich unsere Schülerinnen und Schüler als »deutsch« fühlen, nur weil sie diese Schule besuchen, doch ihr Blick wird internationaler. Sie können in einem geschützten Raum Grenzen überschreiten. Damit sind sie bestens auf eine globalisierte Welt vorbereitet. Dazu gehören auch soziale Projekte in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Alle Achtklässler arbeiten für mehrere Wochen in sozialen Einrichtungen. Alle Zehntklässler absolvieren ein Praktikum in Deutschland. All das sind sehr wertvolle Erfahrungen, die prägen und zeigen, dass Nationalität oft zweitrangig ist.

Klischees zu entstauben: Die Deutschen feiern nicht überall Oktoberfest und sind häufig weniger traditionell, als man zunächst in Brasilien annimmt. Je mehr junge Brasilianer feststellen, dass deutsche Jugendliche ähnliche Interessen haben wie sie, desto eher können sie sich ein Studium dort vorstellen. Von 50 Abiturienten des vergangenen Jahrgangs ging etwa die Hälfte nach Deutschland. Ein Erfolg.

Nur weil ich neu bin, mache ich nicht alles anders. Das wäre der falsche Ansatz. In der Vergangenheit hatte die Schule hervorragende Ergebnisse zu verzeichnen, die deutschen Sprachdiplome sind herausragend, die Schule hat einen Inklusionspreis bekommen. Darauf lässt sich aufbauen. Dennoch will ich natürlich, dass sich unsere Schule weiterentwickelt. Ich wünsche mir etwa mehr gegenseitige Unterrichtsbesuche und Hospitationen von Kollegen, nicht als Kontrolle, sondern als fachlichen Austausch.