Gemeinsames Lernen und kollegiale Kooperation an der Grundschule Op de Host

 

An der schleswig-holsteinischen Grundschule lernen die rund 200 Kinder in jahrgangsübergreifenden Klassen und in ihrem eigenen Tempo. Die Schüler:innen legen selbst fest, wann die Lernzielkontrollen stattfinden – Noten gibt es dabei nicht. Jurymitglied Stefan Brömel beschreibt den Weg der Schule zu gutem Unterricht.

„Das einzige Doofe ist, dass ich diese tolle Schule bald verlassen muss!“ Nicht nur die Viertklässlerin, die auf die weiterführende Schule wechselt, weiß die Qualität der guten, fundierten pädagogischen Arbeit sowie die individualisierende und inklusive Schulkultur an der Grundschule Op de Host zu schätzen. Die Schule mit ihren rund 200 Lernenden im schleswig-holsteinischen Horst nördlich von Hamburg hat einen überzeugenden Ansatz gefunden, mit der Vielfalt ihrer Schüler:innen umzugehen. Die kleine Grundschule zeigt dabei Wege für zwei der größten Probleme in der deutschen Schullandschaft auf: eigenverantwortliches, differenziertes und gemeinsames Lernen als Antwort auf die Herausforderungen der Heterogenität sowie die konsequente kollegiale Kooperation und Kollaboration, die (Arbeits-)Entlastung schafft und die Zufriedenheit der Lehrkräfte steigert – Faktoren, die letztlich den Horster Grundschüler:innen zugutekommen.

Das Ziel: gute Schule für alle Kinder

Im Jahr 2006 haben sich die Lehrkräfte der Grundschule Op de Host auf den Weg gemacht, um ihre Schule grundlegend zu verändern. Sie beginnen in den Fächern Deutsch und Mathematik mit der Entwicklung eines individualisierten Unterrichtskonzeptes. Der Inklusionsgedanke ist in der Schule dabei weit gefasst und gleichzeitig bestechend schlicht: gute Schule für jedes Kind! Erst- bis Viertklässler:innen lernen seitdem in jahrgangsübergreifenden Klassen miteinander und voneinander. Egal, welche der neun Klassentüren man in Horst öffnet, es finden sich immer wiederkehrende Elemente der Unterrichts- und Raumgestaltung. Die Grundschule Op de Host hat dabei nicht nur die anfängliche Skepsis in der Gemeinde überwunden, inzwischen nehmen Eltern und Kinder weite Anfahrten in Kauf, damit ihre Kinder in Horst zur Schule gehen können.

Startpunkt des Unterrichts- und Schulentwicklungsprozesses war 2006 interessanterweise keine Krise der Schule, sondern die Überzeugung der Lehrenden, dass Unterricht sich verändern muss, um den Lernenden gerecht werden zu können. Die pädagogische Arbeit der Schule ist seitdem geprägt durch das Bestreben, dass jedes Kind erfolgreich und mit Freude lernen kann, jedem Kind sein eigener Lernweg bei der Erarbeitung von Lerninhalten ermöglicht wird, keine Lernlücken entstehen, die Leistungen jedes Kindes gewürdigt werden, jedes Kind den gesamten Schultag in einer jahrgangsübergreifenden Klasse lernt, jedes Kind Hilfeempfangender und Helfender ist und sich jedes Kind als geschätzter Teil der Klassen- und Schulgemeinschaft erleben kann.

Während anfangs der Blick auf die Lerninhalte gerichtet ist, entwickelt sich eine ganzheitliche Sichtweise. Neben dem fachlichen Lernen rücken Aspekte wie emotionale und soziale Entwicklungsstände zusätzlich in den Fokus. Folgende Grundgedanken werden im Horster Inklusionsmodell zentral:

a) Jedes Kind ist einzigartig.
b) Jedes Kind ist bei uns willkommen.
c) Jedes Kind ist gut, so wie es ist.
d) Heterogenität ist gewollte Selbstverständlichkeit.

Eine starke Schulgemeinschaft

Die Wirksamkeit der Horster Maßnahmen ist für jeden Besuch offensichtlich. Auffällig ist die Ruhe, die Entspanntheit und gleichzeitig die Konzentration, die man in allen Klassen beobachtet. Den Lernenden geht es offensichtlich gut, was ganz eng damit zusammenhängt, dass jede Schülerin, jeder Schüler in ihrem oder seinem Niveau und Tempo lernt. Sowohl Über- wie auch Unterforderung werden vermieden, was Frustration und Aggression vorbeugt. Die Lehrkräfte haben die Zeit, für jede:n ein offenes Ohr zu haben. Die Schulgemeinschaft bemüht sich um vertrauensvolle, haltgebende und stärkende Beziehungen und Bindungen, welche die Basis für gelingende Lernprozesse und die Persönlichkeitsentwicklung bilden. So hat sich die Schule zu einem Ort entwickelt, an dem sich die Lernenden sicher und geborgen sowie in ihrer Individualität und ihren Potenzialen angenommen und wertgeschätzt fühlen.

Was für das Lernen an jedem Schultag gilt, findet eine Entsprechung in der gesamten Horster Grundschulzeit: der gleichzeitig entspannte und individuell passgenaue Umgang mit Zeiten und Fristen. Im jahrgangsübergreifenden System fällt es im positiven Sinne gar nicht auf, wenn Lernende die Grundschulzeit auf drei Jahre verkürzen oder fünf Jahre brauchen. Auch gelingt es der Schule immer wieder, vorher attestierte sonderpädagogische Förderbedarfe zu überwinden, weil die Lernenden kompetent und stabil für die Bildungswege der Regelschule gemacht werden.

Konsequentes jahrgangsübergreifendes Lernen

Innovativ ist die Grundschule Op de Host in der Konsequenz, mit der das jahrgangsübergreifende Lernen, das damit verbundene kooperative Lernen der Schüler:innen und die Kollaboration der Lehrkräfte in der Unterrichtsvorbereitung gedacht werden. Ein System, das auf jede Schule adaptierbar erscheint. Die Grundschule zeigt durch regelmäßige interne Fortbildungen, dass sie nicht nur eine lernende Institution ist – sie ist gleichsam auch eine lehrende Institution, indem die Schule seit 2009 jährlich einen Tag der offenen Tür anbietet, um den Horster Bürger:innen und Eltern ihr pädagogisches Verständnis zu vermitteln. Hier können die Besucher:innen, darunter auch Kolleg:innen, Unterricht erleben, Unterrichtsmaterialien kennenlernen und mit den Lehrkräften ins Gespräch kommen.

Nur selten wird nach einem Besuch jemand die Schule verlassen, ohne den weit gefassten und gleichzeitig bestechend schlicht formulierten Inklusionsgedanke der Grundschule Op de Host wahrgenommen zu haben: „Gute Schule für (fast) jedes Kind!“ Und auch das „(fast)“ in Klammern spricht dabei für die gesunde Demut der kleinen, intelligent organisierten, lernendenorientierten Grundschule in der schleswig-holsteinischen Provinz.

Zur Person

Stefan Brömel unterrichtet an der Fridtjof-Nansen-Schule in Flensburg, bildet Lehrkräfte fort und berät die Robert Bosch Stiftung zum Thema Schule in der Migrationsgesellschaft.