Porträt

Schuttertal liegt mitten im Schwarzwald, umgeben von Wiesen und Bergen. Nur knapp 3.200 Menschen wohnen in der kleinen baden-württembergischen Gemeinde, zu der drei Ortsteile gehören: das namensgebende Schuttertal, Dörlinbach und Schweighausen. Susanne Junker kann sich noch gut an einen Satz erinnern, den ihr der Schulrat bei ihrer Einstellung mit auf den Weg gegeben hat: „Sie dürfen zukünftig dort unterrichten, wo andere Urlaub machen.“ Alle drei Dörfer sind mit dem Prädikat „Erholungsort“ ausgezeichnet.

Susanne Junker leitet  die Grundschule der Gemeinde, zu der drei Standorte zählen: Die Stammschule befindet sich im Ortsteil Schuttertal, die zwei Außenstellen liegen in Dörlinbach und Schweighausen – und das, obwohl hier jeweils weniger als 1.000 Menschen leben. 13 Lehrerinnen und insgesamt 130 Schülerinnen und Schüler gehören zur Grundschule Schuttertal. Die Kinder kennen sich, manchmal besuchen Cousins und Cousinen dieselbe Klasse, in der jahrgangsübergreifend unterrichtet wird. „Deshalb sprechen wir von Familienklassen“, sagt Susanne Junker. Ihr und ihren Kolleginnen ist es wichtig, dass Kinder, die sich von Geburt an kennen und in einem Dorf aufwachsen, auch zusammen in einer vertrauten Umgebung lernen können und einen kurzen Weg zur Schule haben. Das gilt für alle Kinder, die im Schuttertal zu Hause sind. „Wir sind der Überzeugung, dass Inklusion an Grundschulen eine Selbstverständlichkeit ist“, sagt Susanne Junker.

Dieser Anspruch spiegelt sich im Leitbild der Grundschule Schuttertal wider: „Hier wachsen wir gemeinsam.“ Der Grundsatz zieht sich durch alle Bereiche des Schullebens. „Zu unserer großen Lerngemeinschaft gehören die Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen, die Eltern, der Hausmeister, die Reinigungskräfte – eben alle, die am Schulleben beteiligt sind. Wir sind alle ein Team“, erklärt Susanne Junker, die mit ihrem Kollegium darauf achtet, dass die Grundschule Schuttertal ein gutes Beisammensein und ein wertschätzendes Miteinander ermöglicht. „Außerdem wächst jeder von uns an seinen Aufgaben – nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch wir Lehrkräfte. Es gibt immer wieder neue Felder, in die wir uns einarbeiten wollen. Wir sehen uns als eine Gemeinschaft, die gemeinsam wächst“, sagt die Schulleiterin.

Zu einem der neuen Felder zählt das Projekt „Philosophieren mit Kindern“. Seit Kurzem ist die Schule die erste zertifizierte „Philosophierende Grundschule“ in Baden-Württemberg. Über das Schulentwicklungsprojekt „Ortenauer Weg“ ist die Grundschule Schuttertal auf dieses Konzept aufmerksam geworden. Das Netzwerk unterstützt Schulen in der Region vor allem dabei, außerschulische Partner und Lernorte einzubinden. Wann immer es möglich ist, versucht die Grundschule Schuttertal, die Umgebung mit in den Unterricht einzubeziehen. „Wir gehen in den Wald und setzen dort Projekte um. Oder wir besuchen regelmäßig den Bauernhof in der Nachbarschaft“, sagt Susanne Junker. Warum aber Philosophie? „Das passt einfach zu uns“, sagt sie, „denn wir betrachten ein Kind in seiner ganzen Einzigartigkeit und versuchen, seine Stärken und Schwächen zu fordern und zu fördern.“ Für den Unterricht bedeutet das zum Beispiel, dass die Kinder mit den sogenannten Lernspuren arbeiten, die die Grundschule Schuttertal für die Fächer Mathematik und Deutsch entwickelt hat. Die Lernspuren ermöglichen, dass Kinder individuell gefördert werden und in ihrem Tempo auf ihrem Niveau arbeiten. Im dazugehörigen Lernspurenheft können die Kinder dokumentieren, welche Kompetenzen sie erworben haben. „Mit dem Philosophieren bekommen wir noch mal einen viel intensiveren Eindruck von der Individualität unserer Kinder“, sagt Susanne Junker.

Philosophie steht deshalb nicht auf dem Stundenplan. Vielmehr versuchen die Lehrkräfte das Instrument Philosophieren immer dann einzusetzen, wenn Kinder Fragen zu Themen haben, die in diese Richtung abzielen. „Es ist erstaunlich, wie tiefgründig die Gedanken sind, die die Kinder äußern, und mit welcher Ernsthaftigkeit sie existenzielle Fragen betrachten“, erzählt die Schulleiterin. Sie erlebt immer wieder, wie sehr es die Kinder genießen, dass diese Gespräche nicht zweckorientiert sind. „Durch diese Freiheit lernen wir uns viel besser kennen“, sagt Susanne Junker und fügt hinzu: „Das Philosophieren ist ein unglaublich guter Baustein für demokratisches Lernen. Wenn wir den anderen besser verstehen, sind wir auch toleranter.“ Dass die Schule mit ihrem Philosophie-Konzept auf dem richtigen Weg ist, fühlt Susanne Junker: „Manchmal denke ich, dass wir jetzt eine authentische, echte Auseinandersetzung haben, die uns zusammenschweißt. Dann weiß ich: Ja, das ist es wert.“

Auch ihre Kollegin Ute Brand sieht einen großen Gewinn darin: „Das Philosophieren hilft den Kindern, ihre Gedanken zu formulieren und eine eigene Meinung zu äußern. Eine Kompetenz, die sie in der heutigen Welt brauchen.“ Ute Brand ist Hausleiterin und damit Ansprechpartnerin für die Schulleitung am Standort Dörlinbach. Das Schulhaus mit Schulgarten und Spielplatz liegt mitten im Dorf, stammt aus den 1960ern-Jahren und war ursprünglich als Grund- und Hauptschule konzipiert. Heute lernen dort die Kinder der Regenbogen- und der Drachenklasse. „Wir haben wirklich viel Platz und sogar eine Küche, die wir nutzen können“, sagt die Lehrerin. Die Tage, an denen es Müsli statt Vesper gibt, mag die 10-jährige Ava am liebsten. „Einmal im Monat können wir in der Schulküche unser Müsli mit frischem Obst in der Schulküche selbst zusammenstellen“, sagt die Schülerin der Regenbogenklasse und ergänzt: „Noch viel toller ist aber, dass wir so viel frei arbeiten dürfen.“ Am wöchentlich stattfindenden Thementag arbeiten Ava und die anderen Kinder den ganzen Vormittag an einem festgelegten oder selbstgewählten Thema. Damit wird vor allem der Sachunterricht abgedeckt, aber auch Kunst und Musik werden einbezogen. „Wir haben uns zum Beispiel drei Wochen lang mit der ‚Zauberflöte‘ beschäftigt“, erzählt Ava. „Damit jedes Kind im Laufe seiner Grundschulzeit jedes Thema einmal bearbeiten kann, haben wir eine Vier-Jahresplanung für die Thementage“, erklärt Avas Lehrerin Ute Brand.

Im fünf Kilometer entfernten Schweighausen arbeitet Ute Brands Kollegin Marion Wenglein. Sie ist vor 15 Jahren mit ihrer Familie nach Schweighausen gezogen, ihre Tochter besuchte die Grundschule im Ort. „Dann habe ich hier eine Stelle bekommen. Das war eine glückliche Fügung, denn ich möchte dort Lehrerin sein, wo ich auch wohne“, sagt sie. Seit 2005 hat sich die Schule ziemlich verändert: „Damals war es noch mehr ein Arbeiten in den einzelnen Schulhäusern. Es gab zum ersten Mal eine gemeinsame Schulleitung, aber man hat sich natürlich einander annähern müssen“, erinnert sie sich. Heute arbeiten die Lehrkräfte in der Regel immer noch standortgebunden. „Wenn die Kolleginnen zwischen den Häusern hin- und herfahren müssen, ist das ein Aufwand für sie und bedeutet Unruhe für die Kinder“, erklärt Susanne Junker. Dennoch hat sich in den vergangenen Jahren das Zusammengehörigkeitsgefühl immer weiter gefestigt. „Wir haben zum Beispiel viele Fortbildungen gemeinsam absolviert“, sagt Marion Wenglein. Auch regelmäßiger Austausch trägt dazu bei, dass die drei Standorte zu einer Schule zusammenwachsen. Immer donnerstags trifft sich Susanne Junker mit dem gesamten Team, um Organisatorisches zu besprechen und pädagogische Themen weiterzuentwickeln. Kinder erleben die Gemeinschaft bei der jährlichen Sternwanderung: Dann wandern die Schülerinnen und Schüler von zwei Standorten zum dritten Haus und werden dort mit einem Picknick begrüßt.

Für Ava ist es das letzte Schuljahr an der Grundschule Schuttertal, nach dem Sommer wird sie ein Gymnasium besuchen. Sie freut sich auf die Umstellung, aber ein bisschen vermissen wird sie die Regenbogenklasse schon, glaubt Ava. „Auch das Philosophieren wird mir fehlen. Ich denke gern über interessante Fragen nach“, sagt sie. Was Glück für sie heißt? „Glück kann man beim Kartenspielen oder Würfeln haben. Aber für mich bedeutet Glück, wenn man mit seinen Freunden zusammen ist und gemeinsam lernt, lacht und sich einfach gut fühlt.“