Neue Wege, innovative Lernkultur und professionelle Zusammenarbeit
Jurymitglied Prof. Dr. Alexander Gröschner erklärt im Interview, was die Questenberg-Grundschule preiswürdig macht.
Die Jury beschreibt die Questenberg-Grundschule als mutig, innovativ und konsequent. Was heißt das genau?
Mutig ist die Schule, weil sie im sonst stark fächerorientierten deutschen Schulsystem den Schritt gewagt hat, ausgehend vom Lehrplan die eigentlichen unterrichtlichen Themen in den Mittelpunkt zu stellen. Inhalte aus verschiedenen Fächern werden miteinander verknüpft. Sachkundethemen wie „Sommer“ oder „gemeinsam unterwegs“ können beispielsweise in Mathematik, Deutsch, Kunst und in Fremdsprachen aufgegriffen werden. Das schafft mehr Raum für vertieftes Lernen. Die neue Rhythmisierung des Vormittags und eine ganzheitliche Sicht auf den Lerngegenstand unterstützen diese Möglichkeit des unterrichtlichen Tiefgangs. Innovativ ist dieser Ansatz besonders in einem Bundesland mit einer eher traditionellen Lern- und Leistungskultur. Die neu gebaute Schule nutzt ihre Räume und Strukturen, um Lehrkräften Freiräume für gemeinsame Planung und fächerübergreifendes Arbeiten zu geben. Konsequent setzt die Schule diesen Ansatz auch im Nachmittagsbereich fort: In Wahlkursen können die Kinder – von Yoga über gestalterische Angebote bis zu Mathematik- und Deutschwerkstätten – aus einer großen Bandbreite wählen.
Stichwort „neue Rhythmisierung“: Was bedeutet das in der Praxis?
Gearbeitet wird nach dem Klassenlehrer:innenprinzip: Eine Lehrkraft begleitet die Kinder den ganzen Vormittag durch alle Fächer, oft in längeren Themenblöcken. Das reduziert Raumwechsel, spart Übergangszeiten und vermeidet unnötige Ablenkung. So bleibt mehr Zeit für vertieftes Arbeiten, flexibel angepasst an den Lernfortschritt der einzelnen Kinder. Manche Aufgaben können länger dauern, andere kürzer – je nach Thema und Bedarf. Ziel ist, von Anfang an mehr Selbstständigkeit zu fördern und Lernzeit optimal zu nutzen.
Gab es einen Moment, in dem all das für Sie deutlich wurde?
Ja. Mit dem stellvertretenden Schulleiter, der selbst eine Klasse leitet, begann der Tag mit einer Yoga-Einheit im Garten – Sonnengruß, Gespräche über Wärme und den Sommer. Danach ging es konzentriert zurück in den Klassenraum, um selbstständig Hausaufgaben zu beenden oder an eigenen Aufgaben zu arbeiten, bevor der Lehrer überhaupt eingriff. Eine offene Zeittafel nahm den üblichen Zeitdruck, gab Raum für individuelle Bedürfnisse und machte den Lehrer zum Ermöglicher und Unterstützer im Lernprozess. Für mich vereinte diese Szene Lernfreude, Struktur und Selbstständigkeit der Kinder.
Die Jury lobt außerdem die Kooperation im Kollegium. Wie zeigt sich die Teamkultur an der Grundschule?
Wir haben bei den zahlreichen Schulbesuchen selten eine so enge und professionelle Zusammenarbeit von Lehrkräften, auch mit dem Hortpersonal, gesehen wie hier. Alle verstehen sich als ein Kollegium, planen gemeinsam und stimmen sich ab. Diese Kooperation macht es möglich, die Kinder ganzheitlich zu sehen und zu fördern.
Warum würden Sie anderen Schulen ans Herz legen, von dieser Schule zu lernen?
Weil hier die Stärke des gesamten Kollegiums sichtbar wird. Fach- und sozialpädagogisches Personal arbeiten eng zusammen. Kooperation ist hier kein Zufallsprodukt, sondern systematisch organisiert. Der Schule gelingt es, fachlich und pädagogisch neue Wege zu gehen – mit den Schüler:innen im Blick und dem Kollegium als ein Team. Auch wenn das neue Gebäude beeindruckend ist, liegt der wahre Wert im Inneren: in der Unterrichtsgestaltung, der themenübergreifenden Arbeit und der klaren Struktur der Jahrgangsstufen. Die Schule zeigt, dass man Lernen und Prüfen neu denken kann, auch wenn das mit bestehenden Testformaten nicht immer deckungsgleich ist. Mein Rat: mutig die Schule an den Bedürfnissen der Schülerschaft ausrichten – und sich inspirieren lassen, wie hier Teamkultur und Unterricht ineinandergreifen.
Zum Jurymitglied: Alexander Gröschner ist Professor für Schulpädagogik und Unterrichtsforschung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie stellvertretender Sprecher der Jury des Deutschen Schulpreises.