Evangelisches Gymnasium Nordhorn

Nordhorn, Niedersachsen
Preisträger 2021

Thema: Tragfähige Netzwerke knüpfen

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Städtische Gesamtschule Münster-Mitte

Münster, Nordrhein-Westfalen
Preisträger 2021

Thema: Selbstorganisiertes Lernen ermöglichen

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IGS Lengede

Lengede, Niedersachsen
Preisträger 2021

Thema: Digitale Lösungen umsetzen

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Grundschule am Dichterviertel

Mülheim an der Ruhr, Nordrhein-Westfalen
Preisträger 2021 und 2023

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Mosaikschule Marburg

Marburg, Hessen
Preisträger 2021

Thema: Alle Schülerinnen und Schüler individuell fördern

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Porträt

Porträt

Justyna Cylkowska hat sich ihr erstes Jahr als Lehrerin an der Gesamtschule Körnerplatz in Duisburg sicher anders vorgestellt. Statt ihre neuen Kolleginnen und Kollegen jeden Morgen in der Schule zu treffen, sich mit ihnen auszutauschen und ihnen im Laufe des Schultages immer wieder zu begegnen, arbeitete sie in den vergangenen Monaten meist von zu Hause aus. „Ich bin hier mitten im Lockdown eingestiegen, und das eigentliche Kennenlernen fand in Distanz statt“, sagt die Lehrerin. Dennoch hat sie es geschafft, sich in das über 80-köpfige Team zu integrieren, ihren Platz zu finden und zu einem wichtigen Teil eines großen Ganzen zu werden. „Da war von Anfang an nicht nur eine professionelle Beziehung, sondern auch eine Art und Weise von persönlicher Beziehung“, erklärt Justyna Cylkowska.

„Uns ist es gelungen, Nähe herzustellen. Und das ist sehr besonders, glaube ich“, sagt Schulleiterin Martina Zilla Seifert. Die Gesamtschule Körnerplatz ist eine teamorientierte Schule, die sich durch eine offene Willkommenskultur aller am Schulleben Beteiligten auszeichnet. Mit Teambildungsprozessen, der Verankerung fester Teamzeiten im Stundenplan und einer Beratung durch multiprofessionelle Teams werden neue Kolleginnen und Kollegen, zu denen auch viele Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger gehören, in die Schule eingebunden. Wer an der Gesamtschule Körnerplatz unterrichten möchte, muss die Bereitschaft zur Teamarbeit mitbringen. Denn ausnahmslos alle Kolleginnen und Kollegen bewegen sich in Teamstrukturen. So hat zum Beispiel jede Klasse zwei Klassenleitungen. Auch Lehrkräfte zwei verschiedener Klassen arbeiten in Doppelteams zusammen, um sich regelmäßig über die Unterrichtsentwicklung auszutauschen.

Die systematische Teamarbeit und ihre fest etablierten Strukturen sind das Fundament der Gesamtschule Körnerplatz, die sich in einer herausfordernden Lage befindet. Sie ist aus der erst 2015 gegründeten Sekundarschule Rheinhausen hervorgegangen. Weil alle anderen Schulen in der Nachbarschaft das Abitur anbieten, kämpfte die Schule darum, Gesamtschule zu werden, um sich nicht zu einer „Rest-Schule“ zu entwickeln und auch eine gymnasiale Oberstufe aufbauen zu können. Die Hälfte der Kinder, die die Gesamtschule besuchen, lebt in Familien, die Sozialleistungen beziehen. Rund 70 Prozent der mehr als 900 Schülerinnen und Schüler haben einen Migrationshintergrund. 120 Kinder und Jugendliche sind aus syrischen Kriegsgebieten geflüchtet, viele von ihnen traumatisiert.

Als die Schule im März 2020 erstmals schließen musste, war die Ausgangssituation schwierig. „Auf dem Spiel stand, dass wir reihenweise die Kinder verlieren“, sagt Martina Zilla Seifert. Bis heute haben viele Kinder keine technische Ausstattung, in zahlreichen Elternhäusern gibt es kein WLAN. „Das war eine Katastrophe“, erinnert sich die Schulleiterin und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: „Aber irgendwie nur zwei Tage. Und dann haben wir uns aufgemacht.“

Aufgemacht – das heißt, die vielfältigen Teams, zu denen neben den Klassenleitungen und Doppelteams in den Jahrgängen zum Beispiel auch zwei Steuergruppen, ein multiprofessionelles Team, Beratungsteams oder der „LehrerInnenRat“ gehören, haben systematisch und engagiert daran gearbeitet, die Herausforderungen der Pandemie zu meistern. Sie wollen Kontakt zu allen Kindern halten und die vier Säulen ihrer Schule in den Distanzunterricht übertragen: Lernen durch Kooperation, interkulturelles Lernen, fächerübergreifendes Lernen und die kritische Auseinandersetzung mit gängigen Leistungsbewertungskonzepten.

Dafür behält die Schule ihre Teamstrukturen und die damit verbundenen Rituale und Mechanismen bei. So beginnen beispielsweise alle Teamsitzungen, die nun meist als Videokonferenzen stattfinden, mit einem Warm-up, auch wenn die Zeit noch so knapp ist. „In diesen Sitzungen tauschen wir uns aus, über Didaktik, über Methodik, aber auch darüber, wie es den Schülerinnen und Schülern geht und wie wir das kooperative Lernen überhaupt in den digitalen Raum bekommen“, erklärt Justyna Cylkowska, die in der Steuergruppe „Oberstufe“ mitarbeitet. Jede und jeder bekäme die Chance, sich einzubringen, alle lernen von- und miteinander. „So professionalisiert sich das ganze Team“, sagt sie.

War das Teammodell der Gesamtschule Körnerplatz schon vor der Pandemie ein wirksames Unterstützungsinstrument im pädagogischen Alltag, so ist es in der Pandemie die Rettung. Die Erfahrungen des vergangenen Jahres haben Schulleiterin Martina Zilla Seifert stolz auf das gemeinsam Erreichte gemacht. Sie sagt: „Wir hatten uns, die Kreativität aller, die hohe Bereitschaft, sich zu engagieren, und die feste Absicht, keinen einzigen Menschen an dieser Schule verloren zu geben.“

Porträt

Porträt

Johann Maretzki* steht hinter der Gardine seines Fensters und schaut auf die Straße. „Ich sehe gerade, da kommt sie schon an“, sagt er und zeigt auf Noa*, ein junges Mädchen, das mit zwei vollen Einkaufstüten auf sein Wohnhaus zugeht und ihm fröhlich zuwinkt. Johann Maretzki ist alleinstehender Rentner und wohnt in Nordhorn, einer Kleinstadt im äußersten Südwesten Niedersachsens, direkt an der Grenze zu den Niederlanden. An der Tür nimmt er dem Mädchen die Beutel ab, hebt die Hand zum Abschied und sagt: „Danke! Bedürftigkeit hört in Corona-Zeiten ja nicht auf.“

Noa gehört zu den vielen Schülerinnen und Schülern des Evangelischen Gymnasiums Nordhorn, die sich in der Pandemie für ältere Menschen engagieren. „Unsere Schüler gehen ein Jahr lang für zwei Stunden pro Woche in eine soziale oder diakonische Einrichtung. Das ging nun dieses Jahr nicht, wir mussten uns um Alternativen kümmern“, sagt Schulleiterin Gabriele Obst und ergänzt: „Deswegen haben unsere Schülerinnen und Schüler zum Beispiel bei alten Menschen die Einkäufe erledigt.“ Ein weiterer Beitrag zur Unterstützung waren die „Balkonkonzerte“: Die Kinder und Jugendlichen musizierten und sangen während des Lockdowns gemeinsam für die Bewohnerinnen und Bewohner von Altenheimen – mit ausreichend Abstand und unter freiem Himmel. „Das macht einfach Freude und ermutigt die Schülerinnen und Schüler, über sich hinauszuwachsen“, sagt Gabriele Obst.

Verantwortung übernehmen, die Gemeinschaft stärken, Kompetenzen fördern und auf Individualität achten – das Schulprogramm des Gymnasiums steht auf vier Säulen, die es in vielfältigen Netzwerken im regionalen und überregionalen Raum umsetzt. In der Pandemie baut die Schule sowohl ihre Netzwerke als auch ihre Projekte aus und initiiert neue, um auf diese Weise die vier Schwerpunkte ihrer pädagogischen Arbeit fortzuführen und die Schulentwicklung sogar zu beschleunigen.

Die Schule pflegte weiterhin ihre Partnerschaften mit diakonischen Einrichtungen, um den Schülerinnen und Schülern auch unter Pandemiebedingungen die Möglichkeit zu geben, Verantwortung zu übernehmen und so das Service Learning – die Verbindung von gesellschaftlichem Engagement und fachlichem Lernen im Unterricht – zu erweitern. Mit vielfältigen Maßnahmen schafft es das Evangelische Gymnasium Nordhorn in den vergangenen Monaten außerdem, die Gemeinschaft zu stärken. Es setzt die Arbeit am Erasmus+-Programm online fort und kooperiert dafür mit Schulen aus Bulgarien, Lettland und Frankreich. Die Schule baut einen Instagram-Account auf, bietet einen digitalen Tag der offenen Tür, virtuelle Andachten und Videoberatungen an. So festigt sie die Schulgemeinschaft durch Vernetzung. „Ich bin total begeistert, wie die Schule mit dieser Zeit umgeht. Die Kinder haben digitalen Unterricht, sie sehen sich täglich, die Lehrkräfte sind ansprechbar für die Kinder, es gibt einen tollen Austausch“, sagt Daniela Jahn, deren zwei Töchter das Gymnasium besuchen.

Sie ist begeistert von den Projekten, die die Schule zum großen Teil mit außerschulischen Partnern durchführt. Die Projekte des teilgebundenen Ganztags sind wichtige Elemente des interessengeleiteten Lernens an der Schule, um dem Schwerpunkt „Individualität achten“ gerecht zu werden. Das Evangelische Gymnasium Nordhorn konnte – trotz des Lockdowns und Fernlernens – das Ganztagsangebot aufrechterhalten und stellte auf „digitale Projektarbeit“ um. Die Schule bezieht nun zusätzlich überregionale Partner wie beispielsweise ein junges Göttinger Unternehmen für klimafreundliche Landwirtschaft mit ein. Schülerinnen und Schüler betreuen für das Start-up Messstationen vor Ort und werten die Daten gemeinsam mit den Projektleiterinnen und -leitern aus.

„Wir haben unglaublich viele Netzwerkpartner, und jetzt unter Corona hat sich dieser lokale Ort der Schule absolut erweitert, weil wir plötzlich die Möglichkeit hatten, über die digitalen Medien Netzwerkpartner zu gewinnen, mit denen wir vorher ganz selten in Kontakt waren“, sagt Gabriele Obst. Ein Netzwerkpartner ist die 80 Kilometer entfernte Universität Osnabrück. Mithilfe digitaler Tools hat das Evangelische Gymnasium Nordhorn die Universität ins Klassenzimmer geholt. So beobachtete beispielsweise ein Chemie-Didaktiker die Experimente der Schülerinnen und Schüler und gab ihnen Tipps und Hinweise für den Versuchsaufbau – live via Videokonferenz. Die Universität Essen wiederum bildet ältere Schülerinnen und Schüler durch ein Coaching zu Lernbegleiterinnen und Lernbegleitern für Jüngere aus. Mit Kooperationen wie diesen stärkt die Schule die individuellen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in der Pandemie. Gabriele Obst ist überzeugt: „Digitalisierung unterstützt die Vernetzung nicht nur – sie fördert sie sogar.“

* Namen von der Redaktion geändert