Porträt

Projektförmiges Lernen und nachhaltige Bildungsprozesse am Thomas-Morus-Gymnasium

 

Frau Geweke, Sie waren als Jurymitglied beim Thomas-Morus-Gymnasium (TMG) in Oelde zu Gast. Woran haben Sie erkannt, dass dort eine hohe Unterrichtsqualität herrscht?
Sowohl im Fachunterricht als auch in projektförmigen Lernarrangements wie dem Phänomenbasierten Lernen (PBL), das einen Experimentierraum für selbstgesteuertes, fächerübergreifendes, kooperatives und kreatives Lernen eröffnet, waren die Tiefenstrukturen von Unterricht sehr gut sichtbar. Im Informatikunterricht etwa entwickeln Schüler:innen ein eigenes Computerspiel. In der wöchentlichen PBL-Doppelstunde setzen sich Schüler:innen der Klassen 7 bis 9 mit selbst gewählten Fragen aus dem Themenspektrum der 17 Nachhaltigkeitsziele auseinander und arbeiten dazu in Projekten.

Zu welchen Themen?
Etwa zu wirtschaftlichen Vorteilen von Solarenergie oder zur Nachhaltigkeit von E-Autobatterien. Die Themen orientieren sich an den Schüler:inneninteressen. In allen Unterrichtsformen erlebten wir problemlösendes Denken und Teamarbeit. All das wirkte sehr eingespielt und war medial durch Tablets mit Unterrichtsmaterialien gestützt. Am TMG gibt es ein gemeinsames Verständnis von qualitätsvollem Lernen und Lehren. Das findet sich im Leitbild der Schule wieder.

Wie lautet dieses Leitbild?
„Nachhaltig(es) lernen: vernetzt, langfristig, selbstgesteuert.“ Das TMG ist UNESCO-Projektschule, daher steht Nachhaltigkeit im Fokus. Das zeigt sich auch in den Lern- und Bildungsprozessen der Schule, die kontinuierlich und in der langjährigen Kooperation mit der Universität Münster weiterentwickelt werden. Gemeinsam wurde das PBL-Konzept erarbeitet.

Inwiefern haben sich die Konzepte der Schule als wirksam erwiesen?
Die Beteiligung ist in allen Statusgruppen hoch, die Jahrgangszahlen sind stabil. Die Statistiken weisen eine vergleichsweise geringe Abgänger:innenquote auf. In einer Schüler:innenrunde fragten wir, wie sich PBL auf den Fachunterricht auswirkt. Da hieß es: „Ach, schon auch auf den Unterricht, aber vor allem aufs richtige Leben!“ 

Was ist am TMG besonders innovativ?
Gelernt wird nicht nur im Klassenraum. Auch die Pausenhalle, die Foren im Flurbereich oder der Wald können Orte sein, an denen Formen individuellen und sozialen Lernens stattfinden. In innovativen Unterrichtsformaten erwerben Schüler:innen 21st Century Skills, die sie später in der Berufswelt und in gesellschaftlichen Zusammenhängen brauchen – etwa in Arbeitsgruppen wie TMG for Future, in der aktuell ein Leitfaden für eine nachhaltigere Schule entwickelt wird.

Welche Beobachtung hat Sie am TMG persönlich beeindruckt?
Auf dem Flur trafen wir eine Schüler:innengruppe, die auf dem Weg in den Wald war, um den Boden zu untersuchen. Das Thema ihres PBL-Projektes: die Beschaffenheit von Waldböden. Ich fand es spannend, dass sie in ihren Projekten Forschungsprozesse durchlaufen und auch die Möglichkeit des Scheiterns integriert ist. Klappt ein Projekt nicht wie geplant, wird etwa die Fragestellung akzentuiert.

Was ist außerdem besonders?
Die Schule begreift sich als lernende Institution. Wer eine gute Idee zur Weiterentwicklung hat, kann sie jederzeit bei der Schulleitung einbringen. Entwicklungsvorhaben der Lehrenden werden in Projektgruppen gebündelt, über Klassenräte können Schüler:innen niedrigschwellig partizipieren. Auch der konstruktive Umgang mit Daten, die zur Unterrichtsentwicklung dienen, ist besonders. So wurden auf Basis von Befragungen eine digitale Lernzeit und ein Lernzeitenbüro für die Oberstufe eingeführt. Das TMG hat viele Schüler:innen ohne gymnasiale Empfehlung, mit denen sehr aktiv und erfolgreich gearbeitet wird. Das zeigen die stabilen Jahrgangszahlen.

Was können andere Schulen vom TMG lernen?
Die umfassende Beteiligung der Schulgemeinschaft und die Partizipation der Schüler:innen. Alle Beteiligten bringen gemeinsam relevante Themen voran und machen vor, wie projektförmiges Lernen Schule nachhaltig stärken kann. Das TMG zeigt: Wer sich auf den Weg macht, kann wirklich etwas verändern.   


Zur Person
Dr. Michaele Geweke ist stellvertretende Kollegleiterin und pädagogische Leiterin am Oberstufen-Kolleg Bielefeld.
 

Porträt

Innovativer Unterricht und Wertschätzung für Vielfalt an der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule

 

An der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg lernen Schüler:innen jahrgangsgemischt bis zum Abitur gemeinsam. Wie sich Experimentierfreude und Innovationslust im fächerübergreifenden Unterricht zeigen, hat Jurymitglied Simone Fleischmann beobachtet.

Zweimal in der Woche besuchen die Kinder der Lerngruppe „Eichhörnchen“ ihr Klassenzimmer im Grünen. Mitten im Wald zwischen Eichen und Buchen des Bucher Forsts bei Berlin haben die Schüler:innen der 1. bis 3. Klasse der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule fächerverbindenden Mathe-, Deutsch- und Englischunterricht. Als Teil eines Schulversuches zum hybriden Lernen experimentiert die Gemeinschaftsschule im Prenzlauer Berg mit außerschulischen Lernorten.

Fächer- und jahrgangsübergreifendes Lernen
2008 im Rahmen eines Pilotprojektes unter dem Motto „Neue Schule – jetzt!“ gegründet, gehören Experimentierfreude sowie Lust auf Innovation und Weiterentwicklung noch immer fest zum Wesenskern der Schulgemeinschaft. Rund 990 Schüler:innen lernen in 35 Lerngruppen fächer- und jahrgangsübergreifend von der 1. bis zur 10. Klasse gemeinsam. Die Oberstufe wird aktuell im Modellversuch mit einer Beruflichen Schule in Berlin angeboten. Noten gibt es erst ab der 9. Klasse, vorher dient ein Kompetenzraster zur Einordnung individueller Entwicklungsstände, das sich zum Beispiel an den Kategorien Empathie und Selbstbewusstsein orientiert. Ein Konzept, das aufgeht: An der Schule herrscht ein respektvoller Umgangston, sowohl unter den Kindern und Jugendlichen als auch zwischen Schüler:innen und Pädagog:innen. Er zeugt von einer beeindruckenden Beziehungsarbeit.

Zudem ist überall spürbar, wie aufgeklärt und selbstsicher die Schüler:innen sind. Das Gespräch mit einem souveränen Schüler, der erst seit zwei Jahren in Deutschland lebt, blieb in besonderer Erinnerung. Diese Begegnung zeigte, dass an der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule Empowerment gelebt wird.

Vielfalt als großes Potenzial
Rund 15 Prozent der Schüler:innen waren 2023 nichtdeutscher Herkunftssprache, 17 Prozent lernmittelbefreit und 8 Prozent mit Inklusionsstatus. Weiterhin gehörten zunehmend Kinder mit psychischen Belastungen und chronischen Krankheiten zur Schulgemeinschaft. Unter dem Leitgedanken „All In“ wird Vielfalt als Potenzial wertgeschätzt. Dass manche Schüler:innen eine Lernbegleitung an ihrer Seite haben, ist so selbstverständlich ins Unterrichtsgeschehen eingebettet, dass es erst bei genauem Hinsehen auffällt. Denn der Unterstützungsbedarf der inkludierten Kinder wird weder thematisiert noch klassifiziert oder gar stigmatisiert.

Rund 95 Lehrkräfte arbeiten daran, den Schüler:innen eine umfassende demokratische Bildung auf höchstem wissenschaftlichen Niveau zu bieten. Der Unterricht ist offen und ermöglicht entdeckendes, handelndes und differenziertes Lernen. Die individuellen Arbeitszeiten der Schüler:innen wechseln sich ab mit gemeinsamen Plenumsgesprächen oder unterstützenden, strukturierenden Inputphasen durch die Lehrkräfte. Die Schüler:innen lernen dementsprechend alleine oder in Kleingruppen, im eigenen Tempo und ihrem Wissensstand entsprechend. Wöchentlich erhalten sie kompetenzorientiertes Feedback. Durch individualisierte Lernarrangements, gut gestellte Aufgaben und die Unterstützung bei der Lösungsfindung findet eine hohe kognitive Aktivierung statt. 

Fokus auf Verbesserung durch Daten
Das zeigt sich in den überdurchschnittlichen Lernerfolgen der Schüler:innen.
Um diese Qualität aufrechtzuerhalten, haben Evaluationsdaten bei der Unterrichtsentwicklung einen leitenden Stellenwert. Sie werden konstruktiv genutzt, um den Unterricht stetig weiterzuentwickeln und die individuellen Lernbereiche der Schüler:innen zu stärken. Ein weiterer wichtiger Baustein: das beeindruckende Netzwerk externer Partner, das sowohl Unternehmen wie das Kölner learninglab als auch Geschäftsführungskontakte aus dem Bereich Schulgründungen umfasst. Diese Kooperationen und der Stellenwert der Evaluationsdaten machen deutlich, wofür die Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule steht: für hohe Innovationsbereitschaft und für guten Unterricht, der sich an den Bedarfen der Schüler:innen orientiert und ihre Selbstständigkeit stärkt.

Zur Person
Simone Fleischmann ist Lehrerin und seit 2015 Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands in München.

Livestream Preisverleihung 2024

Wolfgang Zehetmair

Wolfgang Zehetmair

Wolfgang Zehetmair ist seit 2013 Rektor der Grund- und Mittelschule Bad Griesbach im Rottal. Er war vorher als Lehrer sechs Jahre zur Stärkung des Theorie-Praxisbezuges an den Lehrstuhl für Schulpädagogik der Universität Passau (teil)-abgeordnet. Wolfgang Zehetmair ist Moderator für Schulentwicklung nach der Methode der Wahrnehmungs- und wertorientierten Schulentwicklung (WWSE). Als ehemaliger Vorsitzender und Referent des Kolpingwerkes bringt er über 20 Jahre Erfahrung in der Erwachsenbildung mit. E-Mail an Wolfgang Zehetmair