Themenpreis Demokratiebildung

Lernen durch Engagement, Verantwortung übernehmen und miteinander wachsen

 

Die Themen-Preisträgerschule im Kurzporträt: Die Schule lebt Demokratie als Haltung und Praxis. Ein wichtiger Schritt, dies auch institutionell zu verankern, ist das Fach „Lernen durch Engagement“. Ziel ist es, die Kinder zu ermutigen, selbstwirksam zu handeln, insbesondere im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und gesellschaftlichem Engagement. Die Kinder haben ein hohes Bedürfnis nach Austausch und Einordnung, das ernst genommen und aktiv gefördert wird. Die Schule ist sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst. Die Kinder lernen hier, eigene Interessen und Themen zu erkennen und aktiv umzusetzen. Die Schule ist offen für Veränderungen und passt sich kontinuierlich an die Bedürfnisse der Schüler:innen an. Im Stadtteil Wilhelmsburg ist die Schule lebendig und aktiv, gesellschaftlich engagiert und vernetzt.

 

Im Interview erklärt Prof. Dr. Susann Gessner, Mitglied der Jury des Themenpreises Demokratiebildung, was die Demokratiebildung an der Schule An der Burgweide besonders macht:

Was zeichnet die Demokratiebildung an der Schule An der Burgweide aus?
Im Interview erklärte eine Lehrerin: „Demokratie als Haltung ist uns wichtig, das leben wir hier an der Schule. Demokratie ist kein Selbstläufer. Das ist Arbeit, und wir wollen daran mitarbeiten.“ Diese Aussage fasst aus meiner Sicht zusammen, was wir in den Interviews über die Schule gelernt haben.

Welche Konzepte haben Sie überzeugt?
Demokratiebildung ist an dieser Schule klar strukturell verankert. Es gibt zahlreiche und vor allem gut funktionierende Beteiligungsgremien für Schüler:innen, Eltern und Lehrkräfte. Alles ist eingebettet in das jahrgangsübergreifende Konzept der Schule. Besonders beeindruckt hat mich das Fach „Lernen durch Engagement“. Zwei Wochenstunden sind dafür fest im Stundenplan verankert. Das ist ein deutliches Zeichen, dass Demokratie auch als Lerninhalt ernst genommen wird. Hinzu kommt ein starkes Bewusstsein für gesellschaftliche Verantwortung. Die Schule versteht es als ihren Auftrag, Kinder auf ihre Rolle in der Gesellschaft vorzubereiten. Dazu gehört, Räume zu schaffen, in denen auch Grundschulkinder über welt- und tagespolitische Themen sprechen können. Damit ist die Schule An der Burgweide ein herausragendes Beispiel dafür, wie komplexe gesellschaftliche Fragen altersgerecht thematisiert und institutionalisiert werden können.

Wie haben Sie die Schüler:innen im Interview erlebt?
Trotz der verständlichen Aufregung im Online-Interview wirkten die Kinder unbefangen. Sie haben frei erzählt, wie sie den Schulalltag erleben, wo sie beteiligt sind und was ihnen wichtig ist. Für sie scheint Mitbestimmung selbstverständlich. Vermutlich können sie sich gar nicht vorstellen, dass es anderswo anders ist. Ein Vater berichtete, dass seine Kinder seit dem Schulbesuch auch außerhalb der Schule selbstbewusster komplexe Themen ansprechen und ihre Sicht vertreten. Eine Lehrkraft bestätigte, dass die Kinder lernen, Konflikte als verhandelbar zu begreifen, unterschiedliche Perspektiven auszuhalten und Lösungen im Gespräch zu finden. Insgesamt vermittelten die Kinder im Interview sehr deutlich: Sie fühlen sich als wertvolle Mitglieder der Schule und wirken aktiv mit.

Welche Impulse gibt diese Schule, um Demokratiebildung neu oder anders zu denken?
Die Schule traut sich, gängige Strukturen aufzubrechen. Sie hat zum Beispiel den 45-Minuten-Takt zugunsten eines jahrgangsübergreifenden Konzeptes aufgegeben. Das schafft Freiräume für selbstständiges Lernen und fördert die Fähigkeit der Kinder, eigene Themen zu verfolgen und Verantwortung zu übernehmen. Jahrgangsübergreifendes Arbeiten stärkt zudem soziale Beziehungen. Jüngere profitieren vom Wissen der Älteren, Ältere übernehmen Verantwortung. Das wirkt sich positiv auf das Miteinander und den Umgang mit Konflikten aus – eine oft unterschätzte Dimension von Demokratiebildung.

Was können Schulen darüber hinaus lernen?
Statt Top-down-Modus gibt es hier ein hohes Commitment aller. Veränderungen werden mutig angegangen, ob bei der Einführung neuer Fächer wie ,,Lernen durch Engagement“ oder bei strukturellen Anpassungen. Demokratiebildung zeigt sich an dieser Schule nicht nur in Gremien, sondern auch darin, Kindern Weltverstehen zu ermöglichen. Denn schließlich dürfen wir nicht vergessen: Schule bedeutet mehr als nur kognitiv anregende Bildung. Es geht auch um Herzensbildung – und die hat extrem viel mit dem Leben in einer Demokratie zu tun.

Zum Jurymitglied: Susann Gessner ist Leiterin der Didaktik der politischen Bildung an der Universität Marburg.
 

Porträt

Kompetenzorientierung, professionelle Kooperation und eine Schule für alle

 

Jurymitglied Dr. Jan von der Gathen erklärt, warum die Schule An der Burgweide mit dem Deutschen Schulpreis 2025 ausgezeichnet wird.

Welcher Moment während des Schulbesuches hat Sie besonders berührt?
Ein Kind mit Downsyndrom hielt im Sitzkreis einen Vortrag über TikTok. Als die Klasse applaudierte, leuchtete das ganze Gesicht. Für alle ist es selbstverständlich, Teil einer Schulgemeinschaft zu sein, in der jedes Kind dazugehört. Für mich ist die Grundschule An der Burgweide eine Schule, die die Gesellschaft abbildet und zugleich mitgestaltet. Vielfalt ist hier eine klare Entscheidung. Die Kinder lernen hier sechs statt vier Jahre, wie es in Hamburger Grundschulen üblich ist. Außerdem können hier alle Förderschwerpunkte beschult werden.

Welche Stärken sehen Sie im Bereich Unterrichtsqualität?
Wer Unterricht verändern will, muss mehr als nur den Unterricht selbst weiterentwickeln. Diese Schule hat eine klare und professionelle „Innenarchitektur“ für die Unterrichtsentwicklung aufgebaut. Unterschiedliche Gremien und Teams arbeiten in klaren Rollen zusammen. Klassenleitungen arbeiten im Tandem, oft räumlich nebeneinander, was den Austausch erleichtert. Jedes Treffen wird als Fortbildung genutzt. Lehrkräfte bringen ihre unterschiedlichen Stärken ein und entwickeln gemeinsam Unterricht. So entsteht Qualität, die mehr ist als die Summe der Teile.

Was zeichnet die Unterrichtsgestaltung aus?
Die Schule setzt auf Binnendifferenzierung als Standard: Alle Kinder werden individuell gefördert. Außendifferenzierung gibt es nur, wenn sie sinnvoll ist, etwa bei lebenspraktischen Themen für Kinder mit besonderen Bedarfen. Diese Gruppen sind offen, auch andere Kinder können teilnehmen. Gleichzeitig werden besondere Talente gezielt unterstützt, etwa in Fotografie- oder Technik-AGs. Ein fest verankerter Bestandteil des Unterrichtsplans ist zudem „Lernen durch Engagement“: Lerngruppen wählen eigene Projekte wie die Renovierung eines Raumes oder die Begleitung von älteren Menschen im benachbarten Seniorenheim und arbeiten daran gemeinsam, unabhängig von Lerntempo oder Förderbedarf. Hinzu kommt Alltagslernen – vom Selbstwahlbüfett in der Mensa bis zum Kinderkiosk, in dem die Kinder Früchtespieße zubereiten und verkaufen. So entstehen Entscheidungskompetenz, Selbstständigkeit und praktische Fähigkeiten. Insgesamt bleibt Unterricht hier nicht auf Arbeitsblätter beschränkt, sondern trägt dazu bei, Gesellschaft zu bilden – mit fachlichen und sozial-emotionalen Basiskompetenzen.

Warum hat diese Schule einen Preis verdient?
Erstens: Die Schule sortiert nicht – weder nach Jahrgängen noch nach Förderbedarf. Es wird jahrgangsübergreifend gelernt, sodass die ganze Breite an Kompetenzen sicht- und nutzbar wird. Zweitens: Sie arbeitet sehr konsequent kompetenzorientiert. Der Unterricht beginnt immer mit den angestrebten Kompetenzen, nicht mit schönem Material oder Projekten. Daraus entwickeln die Lehrkräfte kluge, entdeckende Aufgaben, die materialgestützt, aber nicht materialgetrieben sind. Drittens: Die Kinder dokumentieren ihren Lernfortschritt auf individuellen Lernlandkarten. Das stärkt ihre Selbstwirksamkeit und macht Entwicklung sichtbar. Viertens: Es gibt hochwertige, aufeinander aufbauende Materialien im Spiralprinzip und ein strukturiertes Classroom Management, das die „Zone der nächsten Entwicklung“ gezielt fördert. Und fünftens: Die Übergangsgestaltung ist vorbildlich. Kinder werden schon in der “Vorschule” an das Lernen und die Schule herangeführt, fachlich und sozial. Unterm Strich heißt das: Hier wird individuell gelernt, aber nicht allein. Das Kollegium arbeitet auf Basis eines gemeinsamen Verständnisses von gutem Unterricht – kompetenzorientiert, verantwortungsfördernd und differenzierend.

Zum Jurymitglied: Dr. Jan von der Gathen ist Schulrat in der Schulaufsicht für die Grundschulen in Essen, ehemaliger Lehrer an der Grundschule Kleine Kielstraße in Dortmund (Hauptpreisträger Deutscher Schulpreis 2006) sowie ehemaliger Schulleiter der Franz-Vaahsen-Grundschule in Düsseldorf.
 

Porträt

Neue Wege, innovative Lernkultur und professionelle Zusammenarbeit

 

Jurymitglied Prof. Dr. Alexander Gröschner erklärt im Interview, was die Questenberg-Grundschule preiswürdig macht.

Die Jury beschreibt die Questenberg-Grundschule als mutig, innovativ und konsequent. Was heißt das genau?
Mutig ist die Schule, weil sie im sonst stark fächerorientierten deutschen Schulsystem den Schritt gewagt hat, ausgehend vom Lehrplan die eigentlichen unterrichtlichen Themen in den Mittelpunkt zu stellen. Inhalte aus verschiedenen Fächern werden miteinander verknüpft. Sachkundethemen wie „Sommer“ oder „gemeinsam unterwegs“ können beispielsweise in Mathematik, Deutsch, Kunst und in Fremdsprachen aufgegriffen werden. Das schafft mehr Raum für vertieftes Lernen. Die neue Rhythmisierung des Vormittags und eine ganzheitliche Sicht auf den Lerngegenstand unterstützen diese Möglichkeit des unterrichtlichen Tiefgangs. Innovativ ist dieser Ansatz besonders in einem Bundesland mit einer eher traditionellen Lern- und Leistungskultur. Die neu gebaute Schule nutzt ihre Räume und Strukturen, um Lehrkräften Freiräume für gemeinsame Planung und fächerübergreifendes Arbeiten zu geben. Konsequent setzt die Schule diesen Ansatz auch im Nachmittagsbereich fort: In Wahlkursen können die Kinder – von Yoga über gestalterische Angebote bis zu Mathematik- und Deutschwerkstätten – aus einer großen Bandbreite wählen. 

Stichwort „neue Rhythmisierung“: Was bedeutet das in der Praxis?
Gearbeitet wird nach dem Klassenlehrer:innenprinzip: Eine Lehrkraft begleitet die Kinder den ganzen Vormittag durch alle Fächer, oft in längeren Themenblöcken. Das reduziert Raumwechsel, spart Übergangszeiten und vermeidet unnötige Ablenkung. So bleibt mehr Zeit für vertieftes Arbeiten, flexibel angepasst an den Lernfortschritt der einzelnen Kinder. Manche Aufgaben können länger dauern, andere kürzer – je nach Thema und Bedarf. Ziel ist, von Anfang an mehr Selbstständigkeit zu fördern und Lernzeit optimal zu nutzen.

Gab es einen Moment, in dem all das für Sie deutlich wurde?
Ja. Mit dem stellvertretenden Schulleiter, der selbst eine Klasse leitet, begann der Tag mit einer Yoga-Einheit im Garten – Sonnengruß, Gespräche über Wärme und den Sommer. Danach ging es konzentriert zurück in den Klassenraum, um selbstständig Hausaufgaben zu beenden oder an eigenen Aufgaben zu arbeiten, bevor der Lehrer überhaupt eingriff. Eine offene Zeittafel nahm den üblichen Zeitdruck, gab Raum für individuelle Bedürfnisse und machte den Lehrer zum Ermöglicher und Unterstützer im Lernprozess. Für mich vereinte diese Szene Lernfreude, Struktur und Selbstständigkeit der Kinder.

Die Jury lobt außerdem die Kooperation im Kollegium. Wie zeigt sich die Teamkultur an der Grundschule?
Wir haben bei den zahlreichen Schulbesuchen selten eine so enge und professionelle Zusammenarbeit von Lehrkräften, auch mit dem Hortpersonal, gesehen wie hier. Alle verstehen sich als ein Kollegium, planen gemeinsam und stimmen sich ab. Diese Kooperation macht es möglich, die Kinder ganzheitlich zu sehen und zu fördern.

Warum würden Sie anderen Schulen ans Herz legen, von dieser Schule zu lernen?
Weil hier die Stärke des gesamten Kollegiums sichtbar wird. Fach- und sozialpädagogisches Personal arbeiten eng zusammen. Kooperation ist hier kein Zufallsprodukt, sondern systematisch organisiert. Der Schule gelingt es, fachlich und pädagogisch neue Wege zu gehen – mit den Schüler:innen im Blick und dem Kollegium als ein Team. Auch wenn das neue Gebäude beeindruckend ist, liegt der wahre Wert im Inneren: in der Unterrichtsgestaltung, der themenübergreifenden Arbeit und der klaren Struktur der Jahrgangsstufen. Die Schule zeigt, dass man Lernen und Prüfen neu denken kann, auch wenn das mit bestehenden Testformaten nicht immer deckungsgleich ist. Mein Rat: mutig die Schule an den Bedürfnissen der Schülerschaft ausrichten – und sich inspirieren lassen, wie hier Teamkultur und Unterricht ineinandergreifen.

Zum Jurymitglied: Alexander Gröschner ist Professor für Schulpädagogik und Unterrichtsforschung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie stellvertretender Sprecher der Jury des Deutschen Schulpreises.
 

Porträt

Jahrgangsübergreifendes Lernen, starke Beziehungen und echte Gemeinschaft

 

Jurymitglied Dr. Michaele Geweke erklärt, warum die Jenaplanschule Weimar ein Vorbild für alle Gemeinschaftsschulen ist und was alle Schulen von ihr lernen können.

Die Jury lobt das komplexe Gefüge aus horizontalen und vertikalen Strukturen mit klassenübergreifendem und jahrgangshomogenem Unterricht. Was bedeutet das?
Horizontal heißt hier: In den Stammgruppen lernen jeweils drei Jahrgänge gemeinsam. Vertikal bedeutet: Drei dieser Stammgruppen werden zu einer größeren Einheit zusammengefasst, in der projektorientiert gearbeitet wird, teilweise über neun Altersstufen hinweg. Gleichzeitig gibt es Fächer wie Fremdsprachen, die jahrgangshomogen unterrichtet werden, um eine klare Lernprogression zu sichern. Dieses Gefüge sorgt dafür, dass die Lehrkräfte jedes Kind mit seinen Stärken, Entwicklungsfeldern und Lernfortschritten sehr genau kennen. Auch die Schüler:innen profitieren. Sie haben viele Kontakte, schließen Freundschaften über Jahrgänge hinweg und erleben Gemeinschaft als gelebtes Prinzip. Die Schule setzt das Konzept Gemeinschaftsschule nicht nur um, sie lebt es.

Wie trägt dieses Gefüge zum Lernerfolg der Schüler:innen bei?
Es verbindet gemeinschaftliches und individuelles Lernen. Ältere unterstützen Jüngere, Jüngere lernen, um Hilfe zu bitten. Gleichzeitig arbeitet jede:r Schüler:in anhand von Logbüchern an individuellen Kernprojekten, besonders in den Hauptfächern. Diese individuelle Arbeit ist eng verzahnt mit projektorientierten Formaten in der Gemeinschaft. So werden fachliche und soziale Kompetenzen gleichermaßen gestärkt.

Die Jury hat außerdem beeindruckt, wie verantwortungsvoll und routiniert die Schüler:innen mit Freiräumen umgehen. Wie wirken sich diese Freiräume auf die Unterrichtsqualität der Schule aus?
Eine Schülerin beschrieb es so: „Man kann selbst entscheiden, was man macht – es muss am Tag aber fertig werden.“ Mit diesem Ziel vor Augen organisieren die Kinder ihre Zeit eigenständig, werden dabei jedoch von Lehrkräften im Hintergrund unterstützt. Team Teaching ermöglicht individuelle Begleitung.

Was sind die wichtigsten Gründe, warum die Jenaplanschule Weimar den Deutschen Schulpreis verdient?
Zentral ist die intensive, qualitätsvolle Beziehungskultur, die das Lernen fördert, und der starke Zusammenhalt, der besonders durch das jahrgangsübergreifende Lernen entsteht. Auf Basis einer hochprofessionellen und systematischen Diagnostik werden die individuellen Voraussetzungen der Schüler:innen erfasst. Dadurch wird jedes Kind dort abgeholt, wo es aktuell steht. Der Unterricht wird konsequent binnendifferenzierend gestaltet. Dazu kommt eine hohe Verantwortungsbereitschaft und echtes solidarisches Lernen. Die Identifikation mit der Schule ist enorm – bei Eltern, außerschulischen Partnern wie dem Deutschen Nationaltheater oder dem Netzwerk Schule ohne Rassismus und natürlich bei den Schüler:innen selbst. Beeindruckend ist auch die Freude daran, einen inklusiven Lernort zu gestalten, an dem jedes Kind nach seinen Bedürfnissen gefördert wird. Insgesamt zeigt die Schule eindrucksvoll, wie Gemeinschaftsschule gelingen kann – und das bei sehr guten Ergebnissen.

Wer kann von dieser Schule lernen?
Die Beziehungskultur ist etwas, wovon jede Schule profitieren kann. Auch die Mischung aus basisnahen und gleichzeitig sehr strukturierten Schulentwicklungsprozessen kann als Vorbild dienen. Ich möchte außerdem ein Plädoyer dafür halten, jahrgangsübergreifenden Unterricht stärker zu erproben – selbst in der Oberstufe, wo die Jenaplanschule Weimar zum Beispiel mit altersgemischten Kursen zeigt, dass er möglich ist.

Zum Jurymitglied: Dr. Michaele Geweke ist stellvertretende Kollegleiterin und pädagogische Leiterin des Oberstufen-Kollegs Bielefeld.

Porträt

Freies Lernen, aktivierender Unterricht und systematische Entwicklung

 

Im Interview erklärt Jurymitglied Nils Euker, warum das Fach „Freies Lernen“ die besondere Stärke der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck ist und was die Unterrichtsqualität darüber hinaus auszeichnet.

Mit welchen Erwartungen sind Sie zur Schule gereist?
In der Bewerbung wurde ausführlich das Konzept des Freien Lernens beschrieben. Viele Schulen setzen selbstreguliertes Lernen um, und wir wissen, wie wichtig und sinnvoll das für die Schüler:innen ist. Wir wollten sehen, ob das Fach „Freies Lernen“ in den vier dafür vorgesehenen Stunden tatsächlich so gelebt wird wie beschrieben. Und vor allem: Überträgt es sich auf den Fachunterricht? Oder bleibt das Fach eine isolierte Insel im Stundenplan, während der übrige Unterricht klassisch abläuft?

Was haben Sie vor Ort erlebt?
Unsere Erwartungen wurden klar übertroffen. Das freie, selbstregulierte Lernen wird hier über vier Jahre im Fach „Freies Lernen“ systematisch aufgebaut und führt die Kinder Schritt für Schritt zu mehr Eigenverantwortung. In den vorgesehenen Stunden war das sehr gut zu beobachten, ebenso im projektbasierten Unterricht und sogar im Fachunterricht. Die Ansätze des freien Lernens wirken wie ein Motor, der aktive Lernprozesse, kognitive Aktivierung und entdeckendes Lernen in alle Unterrichtsformate trägt. Gleichzeitig prägt es die Unterrichtsentwicklung im Kollegium nachhaltig und ist damit ein intelligenter Weg, die Unterrichtskultur langfristig zu verändern.

Was passiert in den vier Stunden „Freies Lernen“?
Die Schüler:innen arbeiten an einem Projekten zu einem selbstgewählten Thema, allerdings nicht von Anfang an. Von Klasse 5 bis 8 werden sie schrittweise an selbstreguliertes Lernen herangeführt. In Klasse 5 gibt es feste Themen, wie beispielsweise „Meine neue Schule“ oder „Steinzeit“,  und vorgegebene Forschungsfragen, die in kleinen Einheiten eng von Lehrkräften begleitet werden. Jede Stunde ist klar strukturiert mit Zielsetzung und Reflexion. Mit jedem Jahr wächst die Selbstständigkeit, bis die Jugendlichen in Klasse 8 auf Grundlage von drei Jahren Übung und schrittweiser Öffnung eigene Themen entwickeln und Projekte eigenverantwortlich umsetzen.

Was zeichnet die Unterrichtsqualität darüber hinaus aus?
Der Unterricht ist aktivierend, fordert die Schüler:innen zum Denken heraus und greift immer wieder selbstregulierende Elemente auf, oft inspiriert durch das „Freie Lernen“. Er ist gut organisiert und strukturiert, was das binnendifferenzierte und kooperative Lernen unterstützt. Klare Classroom-Management-Elemente schaffen Orientierung. Lehrkräfte begleiten den Lernprozess und führen Lernentwicklungsgespräche. Auffällig ist die Begeisterung, mit der Schüler:innen sich auf Lerngegenstände einlassen – ob beim Erstellen von Podcasts, beim Präsentieren von Korrekturprozessen im Spanischunterricht oder beim kritischen Einsatz von KI. Der Fokus liegt nicht nur auf dem Ergebnis, sondern stark auf dem Lernweg. Besonders beeindruckend ist auch der Umgang mit einer äußerst heterogenen Schüler:innenschaft. Die Schule schafft trotz ihrer Größe von fast 1.200 Schüler:innen einen geschützten Rahmen, in dem sich alle gesehen und zugehörig fühlen.

Was macht diese Schule preiswürdig?
Die Schule geht mit ihrer heterogenen Schüler:innenschaft auf herausragende Weise um und verbindet das mit einer Unterrichtsqualität, die das Ergebnis eines langen, systematischen Entwicklungsprozesses ist. Über das „Freie Lernen“ hat das Kollegium moderne und qualitätsvolle Unterrichtsformen etabliert, die im Schulalltag konsequent gelebt werden. Alles, was man vor Ort erlebt – konstruktive Unterstützung, hohe Aktivierung der Schüler:innen, spürbare Freude am Lernen –, ist Ausdruck dieser gezielten Arbeit an der Unterrichtsqualität. Genau diese Verbindung von gelebter Inklusion und kontinuierlicher Schul- und Unterrichtsentwicklung mit Fokus auf Unterrichtsqualität macht die Schule preiswürdig.

Zum Jurymitglied: Nils Euker ist Schulleiter der Mosaikschule Marburg. 

 

Porträt

Systematische Unterrichtsentwicklung und kooperatives Lernen

 

Jurymitglied Raika Wiethe erklärt im Interview, warum die Deutsche Internationale Schule Tbilissi den Deutschen Schulpreis 2025 verdient.

Was macht aus Ihrer Sicht das Zusammenspiel von Haltung, Struktur und pädagogischem Handeln an dieser Schule so stimmig?
Im Jahr 2019 hat die zehn Jahre zuvor gegründete Schule im Rahmen der Bund-Länder-Inspektion erstmalig externes Feedback bekommen. Sie hat dieses Feedback als Chance verstanden, um als gesamte Organisation und insbesondere im Bereich des Unterrichts besser zu werden. Sie hat einen systematischen Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozess gestartet und dabei hochprofessionell daran gearbeitet, alle Entwicklungsstränge aufeinander abzustimmen. Dabei ist es ihr gelungen, alle am Schulleben Beteiligten miteinzubeziehen. Die Schule hat beispielsweise kollegiale Hospitationen eingeführt – für mich ein zentrales Qualitätsmerkmal. Eine Steuergruppe legt anhand von Analysen, Daten und externem Feedback Entwicklungsschwerpunkte fest. Die kollegialen Hospitationen sind so gestaltet, dass sie gezielt auf diese Schwerpunkte einzahlen.

Welchen Entwicklungsbereich ist die Schule gezielt angegangen?
Ein zentrales Thema war die Sprachbildung. Verbunden damit waren die Themen Differenzierung und Classroom Management. So haben die Lehrkräfte zum Beispiel ihr Sprachkonzept in der Grundschule überarbeitet. Wichtig war dabei der Ausbau von Team Teaching: Ortslehrkräfte wurden gezielt mit vermittelten Lehrkräften aus Deutschland zusammengebracht, damit alle Bedarfe der sprachlichen Bildung im Blick sind, sei es für sogenannte Muttersprachler oder für Lernende mit Deutsch als Fremdsprache. Die Lehrkräfte planen gemeinsam den Unterricht und unterstützen die Schüler:innen im täglichen Lernprozess individuell. Am Anfang steht dabei eine Analyse der sprachlichen Voraussetzungen eines jeden Kindes. 

Nutzt die Schule die Daten aus den kollegialen Hospitationen, um sich gezielt weiterzuentwickeln?
Ja, absolut. Es ist fast wie ein spiralförmiges Curriculum – mit kontinuierlicher Nachsteuerung. Die Schüler:innen werden zu denselben Beobachtungsschwerpunkten befragt und zeigten sich bei unserem Besuch entsprechend erstaunlich reflektiert und differenziert, wenn es um Fragen des Unterrichts ging. Es ist zwar noch kein vollständiger 360-Grad-Blick, aber für eine Schule beeindruckend: eine Kultur des intensiven Hospitierens und Feedbacks, die echte Weiterentwicklung ermöglicht.

Was hat Sie darüber hinaus beeindruckt?
Vor allem die hoch konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Sie geht einher mit Spitzenleistungen, besonders im Deutschen. Die Schule hat sich bewusst entschieden, das deutsche Abitur umzusetzen und nicht etwa ein „International Baccalaureate“. Sie sieht das Abitur als maßgeblichen Qualitätsstandard. Hervorzuheben ist auch die durchgängige kognitive Aktivierung. Wir haben zum Beispiel Methoden des kooperativen Lernens im Einstieg und in der Sicherungsphase einer Stunde beobachten können, die entweder Vorwissen aktivierten, zu einer differenzierten Thesenbildung aufforderten oder aber Gelerntes dialogisch absicherten. Überhaupt gehören gegenseitiges Feedback und Reflexionsschleifen an der Schule selbstverständlich zum Lernen dazu. Daneben haben wir sehr oft problemlösendes Lernen erlebt, das an der Lebenswelt der Schüler:innen orientiert war und diese aufgefordert hat, Lösungswege zu entwickeln und diese später im Plenum zu diskutieren.

Wie zeigt sich diese Grundhaltung im pädagogischen Alltag?
Das Kollegium lebt das Prinzip „alles für die Schülerinnen und Schüler“. Es gibt ein starkes Commitment, jede:n bestmöglich zu unterstützen – und allen eine Stimme zu geben, um zu Partizipation und Mitgestaltung einzuladen.

Zum Jurymitglied: Raika Wiethe ist Pädagogische Koordinatorin am Gymnasium Kronshagen und ehemalige Pädagogische Direktorin der Deutschen Internationalen Schule Johannesburg.